Wieso nimmst du Reitstunden, du kannst doch Reiten???
Könnt Ihr euch noch an euere ersten Reitstunden im örtlichen Reitverein erinnern? Gibt es nicht in jedem Stall ein furchtbar faules Pferd, ein bockiges Pferd, ein Rennpferd und das gut gerittene Privatpferd, das die „guten“ Reiter dann bewegen dürfen, weil der Besitzer zu faul ist selber zu reiten? Stück für Stück müht man sich ab und versucht all diese Pferde reiten zu lernen, um auch mal das gute Privatpferd zu bekommen. Dabei träumt man davon selbst Pferdebesitzer zu sein und dann alles anders zu machen.
Dann ist es so weit – man hat Erfahrung gesammelt, verdient genug Geld und kauft sich das langersehnte eigene Pferd. Und es geht weiter: Reitstunden nehmen. Wieder ein Herantasten und Lernen, vom Ehrgeiz getrieben. Reiten ist nicht einfach und jeder der reitet weiß das. So ein Pferd kostet außerdem viel Zeit. Und als Pferdebesitzer muss man aufpassen, nicht in das Randgruppenmilieu der „Ich-hab-nur-noch-Pferdefreunde-und-stinke-nach-Pferd“ abdriftet. Nichtreiter können das alles nicht nachvollziehen und sind in einer gewissen Art intolerant. Denn neben den Pferden muss man als Reiter und Pferdebesitzer ja auch noch ein gewisses „normales“ Sozialleben führen.
Also trifft man sich doch noch mit Nichtreitern. Gerne Sonntags zu Kaffee und Kuchen. Die Nichtreiter haben wahrscheinlich in der Zwischenzeit schon einkalkuliert, dass Reiter grundsätzlich zu spät kommen, oder gar nicht, weil das Pferd etwas hat. Dann stinken Reiter gerne nach Pferd, reisen in dreckigen Autos an, von den schmutzigen Schuhen gar nicht zu reden, haben Heu in den Haaren und Stroh in den umgekrempelten Hosenbeinen. Die Jacken sind meistens angeschleimt und voller Pferdehaar. Trotz all dieser Hürden schafft man es trotzdem an den Kaffeetisch.
Und dann kommt es. Man sitzt also nichts ahnend bei Kaffee und Kuchen bei Leuten, die es geschafft haben einem an einem wunderbaren sonnigen Sonntagnachmittag, den man eigentlich schön mit Ausreiten verbringen könnte, an ihren Kaffeetisch zu fesseln. Um das Gespräch mal von den uninteressanten Dingen abzulenken – wer hat wen geheiratet, wer hat was gesagt, welcher Nachbar benimmt sich auffällig, wie bäckt man die Torte, die man gerade eben verputzt – lenkt man das Gespräch auf Pferde. Unweigerlich erzählt man irgendwann von der letzten Reitstunde. Und dann kommt er, der Satz den ihr bestimmt schon alle gehört habt und den jeder fürchtet: „Wieso nimmst Duuuuu denn Reitstunden, Du kannst doch schon Reiten???“ – im gedachten Nachsatz schwingt natürlich der Vorwurf mit: Das kostet doch Geld und das kannst du dir doch sparen weil Reiten ist doch nicht so wichtig.
Liebe Verwandtschaft, Liebe Freunde, Liebe Nichtreiter und vor allem Liebe Reiter, die ihr denkt schon perfekt zu sein: Man lernt NIE aus. Man kann IMMER etwas dazulernen. Reiten lernt man ein Leben lang! Meistens ist man geplättet von diesem Satz um ihn elegant abzuschmettern. Mir ist noch nicht die richtige Antwort eingefallen. Wie bringt man einem Ungläubigen etwas bei? Im besten Fall bringt man die entsprechende Person dazu selbst einmal aufs Pferd zu steigen. Wenn sie dann erkennt, dass es schon eine wirkliche Leistung ist Füße und Hände unabhängig voneinander zu bewegen ohne nach unten zu schauen und sich noch auszubalancieren ohne vom Pferd zu fallen, dann ist man schon einen großen Schritt weiter. Ist aber meistens nicht möglich.
Bleibt also nur weiter dabei euphorisch von Pferden erzählen und versuchen die Leute mit Begeisterung anzustecken oder unendlich zu langweilen. Meistens wird man dann als total seltsam abgestempelt und hat den gewissen „Armen-Irren-Status“ mit dem es sich übrigens sehr gut leben lässt. Im Idealfall begeistert man sich so, dass sie einen gar nicht mehr einladen, wenn die nächste Feier ansteht, aus Angst wieder mit Pferdekram zugelabert zu werden. Das garantiert einem dann zumindest einen schönen Ausritt am Sonntagnachmittag. Vielleicht ist es doch eine Möglichkeit einfach in den Abgrund der sozialen Randgruppe zu rutschen? Zumindest bleibt einem dann die Frage nach den Reitstunden erspart.
Hi Christine,
wie schön, dass es anderen Reitern auch so geht 😉
Bin schon immer gespannt, wann´s was Neues hier auf deinem Blog gibt, nur weiter so 🙂
lg, Verena
Wie wahr, wie wahr … und klasse geschrieben wie immer.
Mit dem „sozialen-Randgruppen-Dasein“ muss man sich glaube ich – zumindest wenn man die Sache wirklich ernsthaft und ehrgeizig betreibt – irgendwo abfinden. Aber zum Glück gibt es genug weitere so Verrückte wie unsereins, da muss man sich eigentlich nicht einsam fühlen ;-).
Wäre ja eigentlich schön noch mehr mit der Randgruppe zu unternehmen – wenn die nicht so verstreut wäre – unsere große weite Fino-Familie 🙂