Del Cavador

Pferdeflüsterer?

18.01.2012:

Jeder Pferdebesitzer träumt den großen Traum von totaler Verständigung mit dem Pferd. Das Pferd erkennt per Telepathie was der Reiter denkt und führt das promt und willig aus. Natürlich ohne einengende Dinge wie Halfter oder Zaumzeug, Koppelzäunen oder ähnlichem. Natürlich sieht das Pferd dabei glänzend und frisch geputzt aus. Und außerdem scheint immer die Sonne.

Jetzt aber mal ganz im Ernst – wo gibt es das schon? Hallo? Aufwachen! Ist die Wahrheit nicht eher: man betritt den Stall und das freudig-blubbernde Wiehren des geliebten Vierbeiners bedeutet: „Ey Alte … mach mal den Trog voll Heu hier!!!!“ oder man möchte mal angeben mit dem Pony und es macht einen auf Rüpel oder Mimose? Seien wir doch ehrlich zu uns selber – freie Verständigung und komplette Willenlosigkeit von Seiten des Pferdes gibt es nicht. Es ist schließlich ein eigenständiges Individuum.

Die große Aufgabe für uns als Pferdebesitzer ist doch: Futter ranschaffen. Für schöne Lebensbedingungen sorgen. Versuchen dem Pferd einzureden, dass die Übungen, die man gerade machen möchte deren Idee sind. Und das es das dann so super toll gemacht hat. Und überhaupt. Es ist das Beste. So toll … ja … es ist eigentlich wie bei Männern, Chefs, Eltern und Kindern …. Lass es wie ihre Idee aussehen und sie sind begeistert. Bringt sie dazu, dass sie das Gewünschte freiwillig und gerne tun. DAS ist für mich ehrliches Horsemanship und Pferdegeflüstere. Dazu braucht es kein großes Konzept, keine extra Hilfsmittel, keine spezielle Kleidung, keinen Reitplatz. Ich brauche nur ein funktionierendes Gehirn und Augen mit dem ich beobachte, was das Pferd macht. Außerdem muss ich immer davon ausgehen, dass ICH einen Fehler gemacht habe. Nicht das Pferd. Das Pferd führt ja nur meinen „Befehl“ aus und hat ihn dann nicht verstanden.

Es ist gar nicht so schwierig. „Bodenarbeit“ kann ich in jede beliebige Alltagshandlung einbauen. Pferd einfangen: Es soll sich mir zuwenden und einen Schritt auf mich zutun wenn ich mit dem Halfter komme. Pferd füttern: Es soll nicht drängeln und muss warten bis es dran kommt. Pferdestall misten: Pferde haben Abstand zu wahren und dürfen NICHT mit dem Schubkarren spielen. Auch nicht den Schubkarren als Kratzbaum benutzen. Pferd führen: Es hat dort zu bleiben, wo ich es als Führer haben will. Und es hat dann vorzutreten wenn ich möchte. Und nur dann. Putzen: Überall anfassen lassen und stehen bleiben lernen. Aufsteigen: Stillstehen und warten bis ein Befehl kommt. Nichts vorweg nehmen. Sonst sind wir irgendwann so weit, dass das Pony dann auch noch Richtung, Länge und Tempo des Ausrittes bestimmt. Das wäre in meinem Fall bei Pony Nr. 1 ein wilder Ritt im Galopp oder Stechtrab über mindestens 40 km durch Berg und Tal. Gebremst wird nicht, schon gar nicht für Kinder. Oder bei Pony Nr. 2 ein geruhsamer Ritt von zehn Metern bis zum nächsten Grasbüschel oder der nächsten Hengstkoppel. Da wächst auch Gras drauf.

Was ich damit sagen möchte ist einfach. Wenn ich ein dauerhaft konsequentes Verhalten an den Tag lege, dann hat es mein Pferd leichter meinen Wünschen zu folgen. Ich muss mir eine Strategie ausdenken und bei dieser Version bleiben. Dann überfordere ich mein Pferd auch nicht und es kann sich darauf konzentrieren, das bereits geübte und gefestigte Verhalten zu zeigen. Und darauf kann ich dann aufbauen.

Ich denke wir Otto-Normalverbraucher können uns Abschminken Erfolge wie die vielen großen Profis zu haben. Die Show des langhaarigen Franzosen mit den tanzenden Hengsten lebt davon, dass sie für Normalsterbliche unerreichbar bleibt. Oder der Mann mit dem Bart und dem Karottenstick. Er hat es echt drauf! Keine Frage. Man möchte das auch können, aber mal ganz ehrlich: Wer hat schon die Zeit jeden Tag mehrere Stunden mit den Pferden zu arbeiten? Profis sind Profis, weil sie das was sie tun mehr oder weniger den ganzen Tag tun und dadurch genügend Übung haben. Und das über Jahre und Jahrzehnte hinweg.

Ich sehe mir gerne großartige Shows an. Ich sehe mir auch gerne „Pferdeflüsterer“ und „Horsemanship“-Leute an, auch „Natural Horsemanship“-Leute und „Real Natural Horsemanship“-Leute. Auch den Mann, der mit den Pferden tanzt. Wer zusieht und genau hin sieht kann immer etwas für die eigene Arbeit herausfiltern. Der Schlüssel heißt: nicht in engen Tunneln denken, sondern überall mal hinschauen. Ob das jetzt ein moderner Pferdeguru ist, eine Ikone im Pferdesport oder der Opi, der seit 50 Jahren mit den Pferden im Wald arbeitet, völlig egal. In meinen Augen ist jeder, der es schafft sein Pferd so zu formen wie er es möchte und das Gezeigte dann locker-flockig und unbekümmert-freudig aussieht ein „Pferdeflüsterer“. Denn es erfordert einfach Zeit und Beobachtungsgabe sein Pferd zu „formen“. Man muss nicht der trickreichste und tollste Pferdekenner sein. Es genügt wirklich selbstkritisch zu sein und genau hin zu sehen und dann einfache Verhaltensmuster zu ändern. Man muss ja nichts innerhalb von drei Tagen komplett umkrempeln. Man hat ja schon mehrere Jahre an so einem Pferd.

Ich möchte jetzt niemanden verteufeln. Es gibt wirklich großartige „Horsemanship“-Lehrer.  Keine Frage. Aber wenn ich „Horsemanship“ in Verbindung mit „freiem Geist der Indianer“, „spirituell“, „magisch“, „esoterisch“, „Energie freigeben und einfangen“, Frauen mit wallendem langen Haar auf galoppierenden Pferden mit wallenden Mähnen dazu Kitschmusik oder einen blinkenden Button mit „unbedingt kaufen“ gezeigt bekomme, dann wird mir schlecht. Ganz einfach nur schlecht.

Und dann denke ich mir: Erwachsen sein bedeutet nicht nur alt genug werden, sondern auch das Gehirn benutzen. Zum Denken, nicht nur zum Herumtragen. Und dann freue ich mich jedes Mal, wenn eines meiner Pferde freudig angelaufen kommt wenn ich mit dem Halfter auftauche. Dann kann das, was ich mir so zusammengebastelt habe nicht allzu falsch sein und ich bin doch auf dem Weg ein kleiner „Pferdeflüsterer“ zu werden.

3 Antworten auf „Pferdeflüsterer?“

  1. Danke, du sprichst mir aus der Seele… Nicht Druck und zwang sondern liebe und Verständnis machen es aus…
    Verlange wenig, lobe viel und wiederhole oft .

  2. Ein super klasse objektiver und ehrlicher Bericht. Du hast viele Sachen auf den Punkt gebracht, die ich auch so sehe und die der Realität entsprechen. Mach weiter so, ich freue mich auf weitere Artikel :-))))

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